Stellensuche: anonymisierte Bewerbungen als Mittel gegen Diskriminierung älterer Kandidaten?
«Fachkräftemangel – mit anonymer Bewerbung zum Traumjob»: So betitelt die «Financial Times Deutschland» am 10. Juli 2012 einen Bericht, welcher anonymisierte Bewerbungsunterlagen als gutes Mittel gegen systematische Diskriminierung von Stellensuchenden anpreist.
Kein Foto, kein Name, kein Geburtsdatum, kein Geschlecht – sind anonymisierte Bewerbungen tatsächlich ein taugliches Mittel gegen die systembedingte Diskriminierung älterer Kandidaten bei der Besetzung von offenen Stellen?
Zu glauben, Personalverantwortliche würden sozusagen «in eigener Kompetenz» diskriminieren, ist reine Augenwischerei. Dass Bewerbungen von Kandidaten über 45 konsequent abgelehnt werden, hat seinen Grund in der Art und Weise, wie das Schweizer System der beruflichen Vorsorge ausgestaltet ist.
Berufliche Vorsorge: ursprüngliche Grundannahmen gelten nicht mehr
Wir «älteren» Stellensuchenden zahlen heute die Zeche dafür, dass das aus den 1970er-Jahren stammende Konzept der beruflichen Vorsorge nie grundlegend geändert wurde, obwohl sich seit dem Inkrafttreten des Gesetzes (BVG) 1985 so ziemlich alles radikal verändert hat:
– Entlöhnungssysteme sind heute funktionsbezogen und (zumindest auf dem Papier) geschlechtsneutral.
– Lebens- und Dienstalter der Stelleninhaber beeinflussen das Salär (zumindest auf dem Papier) deutlich weniger stark als die funktionsbezogene Einstufung der Stelle auf der Lohnskala.
– Der Finanzmarkt als dritter «Beitragszahler» zur persönlichen Altersvorsorge entfällt weitestgehend; Arbeitnehmer müssen ohne fette Zinsen ihres investierten Kapitals auskommen.
Jung gegen Alt: Erfahrung wird über Gebühr verteuert
Das heisst zum Beispiel, dass einer 35jährigen Frau und einem 55jährigen Mann, die sich auf eine bestimmte Stelle bewerben, nominal ungefähr das gleiche Gehalt angeboten wird.
Nur: Die 35jährige Frau bezahlt drei- bis fünfmal geringere BVG-Beiträge als der 55jährige Mann. Selbst wenn also beide für – sagen wir – einen nominalen Jahreslohn von 100'000 Franken arbeiten, kostet der 55jährige seinen Arbeitgeber pro Jahr eine fünfstellige Summe mehr, verglichen mit der 35jährigen.
Ein Schnäppchen: Weniger Leistung für noch weniger Geld
Somit entspricht es schlicht wirtschaftlicher Logik, dass ein Arbeitgeber jüngere Kandidaten bevorzugt. Selbst wenn die 35jährige lediglich 85 % der Leistung des 55jährigen bringt (weil ihr eben 20 Jahre Erfahrung fehlen), kostet sie den Arbeitgeber rund ein Viertel weniger. Und 85 % der Leistung zu 75 % der Kosten ist doch allemal ein Schnäppchen!
Diese systembedingte Diskriminierung lässt sich weder mit weiteren Regulierungen des Arbeitsmarktes bekämpfen noch mit anonymisierten Bewerbungen, welche das Individuum vollends zur «Human Resource» degradieren.
Die einzige Lösung: Ändert das BVG radikal!
Das einzige Mittel gegen diese verwerfliche und verschwenderische Diskriminierungs-Praxis besteht darin, das System der beruflichen Vorsorge in der Schweiz grundlegend neu zu erfinden und dafür zu sorgen, dass Arbeitgeber einen wirtschaftlichen Anreiz haben, die besten Leute einzustellen – und nicht nur die billigsten.
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